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Wutbürger - Eine Data Story zur explorativen Twitter-Diskursanalyse

Dr. Martin Dröge, Humboldt-Universität zu Berlin, Arbeitsbereich Digital History

Einleitung: Zum Kontext der Twitterdaten

Vorhaben und Fragestellung

Historiker:innen werden sich in Zukunft mit der heute entstehenden Datenflut auseinandersetzen müssen, um die darin enthaltenen Informationen als Quellen zur Erforschung der Vergangenheit nutzen zu können. Wie können Historiker:innen aber auf die äußerst umfangreichen Inhalte der sozialen Medien zugreifen und diese erforschen? Es ist unmöglich, ohne digitale Hilfe diese textuellen Daten auszuwerten. Die folgende Data Story möchte an einem Beispiel veranschaulichen, wie eine explorative digitale Datenanalyse des Microblogging Dienstes Twitter durchgeführt werden kann, um Diskurse und deren Wandel zu erfassen. Die Data Story bearbeitet auf der inhaltlich-analytischen Ebene eine klar umrissene Fragestellung: Welchen kontextuellen Wandel durchlief der Begriff ‚Wutbürger’, der 2010 zum Wort des Jahres gekürt wurde, im Kurznachrichtendienst Twitter? Hierzu erfolgt eine Diskursanalyse, die zeitliche Trends in der Verwendung des #Wutbürger nachverfolgt, Kontexte, in den der Begriff auf Twitter verwendet wurde, aufzeigt, den Wandel im Gebrauch dieses Begriffs aufdeckt und weitere, zunächst quantifizierende Befunde generiert.

Der Kurznachrichtendienst Twitter

Es gibt zahllose Möglichkeiten, Twitter zu beschreiben und zu definieren:

„One way to describe Twitter is as a microblogging service that allows people to communicate with short messages that roughly correspond to thoughts or ideas.”1

Nachfolgend werden ausgewählte Aspekte skizziert, die für Historiker:innen bei der Arbeit mit Twitterdaten relevant sind. Eine vollständige Charakterisierung und Kontextualisierung von Twitter, Einordnungen zu dessen gesellschaftlicher Bedeutung, Aussagen über das zugrundeliegende Geschäftsmodell, technische Funktionalitäten, detaillierte Begrifflichkeiten oder die häufig anzutreffende Kritik an Twitter sollen und können hier nicht dargestellt werden.2

Wie eingangs angedeutet, stellen alleine die im Jahr 2021 pro Tag im Schnitt 500 Millionen via Twitter weltweit versandten Kurznachrichten aufgrund des schieren Umfangs Historiker:innen, die retrospektiv diese Datenflut in Wissen umwandeln und valide Aussagen über gesellschaftliche Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit treffen wollen, vor große Herausforderungen. Das angeführte Zitat zeigt an, das vornehmlich kurze Gedanken und Ideen in den Tweets artikuliert werden. Man hat es hier also mit subjektiven Quellen zu tun, die dem Quellentypus der Selbstzeugnisse zuzurechnen sind und die eine gewisse Ähnlichkeit zu den Aussagen von Zeitzeugen aufweisen. Neben persönlichen Meinungen finden sich unter den Tweets mittlerweile ebenso offizielle Verlautbarungen von Regierungen, Behörden, Pressediensten, öffentlichen Institutionen und Medien. Auch die Wissenschaft betreibt einen Teil der Wissenschaftskommunikation über diesen Kanal.

Allerdings wird Twitter nicht von allen Bevölkerungsgruppen gleich genutzt und daher sollte eine Analyse von Tweets keine repräsentativen Aussagen treffen, sondern immer differenziert auf den Aussagewert der erzielten Befunde hinweisen. Twitter erfasst allerdings sehr schnell Trends auf verschiedenen thematischen Gebieten und somit kann ein Twitter Mining auch für Historiker:innen einen guten Ausgangspunkt für eine ausführliche und vertiefende Diskursanalyse zu einem Thema bieten. Ebenso sollte bei der Auswertung von Twitterdaten klar sein, dass nicht unbedingt alle veröffentlichten Tweets, die zu einem Thema zur Verfügung stehen, erfasst werden, da Twitter einen Teil der angefragten Tweets nicht ausliefert. Hier handelt es sich um gelöschte Tweets oder Tweets von gesperrten Accounts. Der Grad der Vollständigkeit eines Korpus von Tweets ist folglich ein weiterer Gesichtspunkt, der beim Arbeiten mit Tweets als historischer Quelle berücksichtigt werden muss.

Data Exploration: Twitterdaten erkunden

Das Datenset der Tweets, die den #Wutbürger enthalten, umfasst 9.149 Tweets aus dem Zeitraum zwischen dem 12.10.2010 und dem 20.01.2022. Der erste Tweet mit dem #Wutbürger erfolgte demnach als Reaktion auf den Essay von Dirk Kurbjuweit, der am 12.10.2010 im Spiegel erschienen ist. Der Tweet verweist auf einen Kommentar über den Spiegel-Artikel in einem heute nicht mehr aktiven Blog.

Die explorative Datenanalyse befasst sich vornehmlich mit quantifizierenden Aussagen über die Daten im Datenset, jedoch werden auch ausgewählte Befunde aus einem Blended Reading angeführt.